Dreißig Jahre Wackersdorf

Vor dreißig Jahren änderte sich mein Leben drastisch und dramatisch. Kurz nachdem ich Zivildienstleistender beim Bund Naturschutz in Bayern wurde, war das Hauptthema: WAA Wackersdorf.

Mittlerweile gibt es Menschen, die womöglich noch nie etwas von “Wackersdorf” gehört haben, oder nicht mal wissen was “WAA” bedeutet. Nun, vor 30 Jahren war es anders. Massen an Sonderzügen fuhren nach Bayern, Deutschlandweit fuhr die Polizei nach Bayern. Es war quasi “Krieg Staat gegen Volk”. Die Menschen wollten keine WAA = Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe. Der Staat (der angeblich das Volk vertreten würde), wollte die Anlage mit aller GEWALT.

Im Winter 1985/86, genauer gesagt von Weihnachten bis Neujahr, bin ich nach Wackersdorf gefahren um das Hüttendorf live kennen zu lernen, von dem ich nur gehört und gelesen hatte. Ich war sehr zurückhaltend und habe bei extrem kalten Temperaturen (kälter als minus 20 °C) etwas abseits alleine im Zelt “überlebt”, weil die provisorischen Holzhütten, teilweise mit Ofen, mir sehr befremdlich vorkamen. Die Massen an Menschen waren für mich auch ungewohnt. Ich wollte nur beobachten und mich möglichst nicht einmischen.

Rechts im Bild, die Küche des Hüttendorfes:

wackersdorf

Aktiv beigetragen habe ich damals beim gemeinsamen Tragen von Baumstämmen. Es war erstaunlich: Wenn fünfzig Menschen gemeinsam anpacken, können die dicksten und längsten Stämme getragen werden. Zum Abschluss meiner Reise habe ich noch die Anzahl der Hütten gezählt. Es waren deutlich mehr als einhundert!

Seit dieser Reise war und ist in meinem Leben nichts mehr wie vorher. Es war für mich vorher undenkbar, dass “Staat” und “Volk” so gegeneinander stehen.Mittlerweile verstehe ich, wenn jemand sagt: Der “Staat” ist der natürliche Feind des Menschen.

Es war ein sehr friedliches Hüttendorf. Massen an Einheimischen kamen rund um die Uhr und brachten Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs.

Ein paar Tage nach meiner Abreise wurde am 7. Januar 1986 das Dorf brutal geräumt. Später kam ich immer wieder an diesen schicksalshaften Ort. Im April 1986, als Tschernobyl explodiert war und über Bayern radioaktiver Regen herunter ging, war ich auch in Wackersdorf. Keiner von uns wusste damals was passiert war. Es war April und warm genug um im Freien zu nächtigen, doch ich fühle mich im Freien unwohl und habe in einer Scheune den Schlafsack ausgerollt. Wenige Tage später erfuhr ich von der Tragödie, die jetzt, knapp 30 Jahre später immer noch ganz Europa belastet UND aktuell obendrein im Kriegsgebiet Ukraine liegt!!!

Damals in Wackersdorf machten sich viele Gedanken um eine bessere Welt. Ja, auch “Windräder” waren damals im Gespräch, aber selbstverständlich nur als Methode für regionale Selbstversorgung und nicht, wie heute gebaut, als Mega-Anlagen zur Einspeisung ins Netz.

Bei einer späteren Reise nach Wackersdorf war der “Bauzaun” schon gebaut. Na, ja, das war mehr als ein Bauzaun:
Ein Betongraben mit 45° Schrägen aus extra glatten Beton, so dass man nicht nach oben gehen konnte, Dann ein massiver Stahlzaun und oben drauf Nato-Draht. Auf der Gegenseite dann noch Wasserwerfer mit CS Gas. Im übrigen ist der Einsatz von CS Gas im Kriegsfall völkerrechtlich geächtet gegen den Feind einzusetzen… aber gegen das eigene Volk wurde es massiv eingesetzt, durch die CSu unter Franz Josef Strauß. Freunde von mir haben Lungenödeme davon getragen…

Der Franz Josef Strauß hat angeblich bei der Überlegung, wo die WAA hinkommt, gesagt: “Die kommt zu uns in die Oberpfalz, mit den Oberpfälzern kann man’s machen”. Nun, mit den Oberpfälzern kann man wohl fast alles machen, aber man darf eines nicht: Sie beleidigen! Da der Satz raus kam, waren die Oberpfälzer beleidigt, und es ging NICHTS mehr. Wenn das Volk aufsteht ist schluss mit lustig (für die Re-Gier-enden).

Ich habe bei jeglichem CS-Gas Einsatz immer rechtzeitig “Hackengas” gegeben, bin also weggerannt. Ich wollte eh nur da sein und dadurch meinen Protest ausdrücken. Etwas kaputt machen wollte ich nicht und habe ich nicht.

Ein Erlebnis kann ich nie vergessen: Am Zaun waren die Kämpfe aktiv, Steinewerfer und Stahlsäger am Zaun, mit Planen gegen den Wasser-Gas-Strahl der Wasserwerfer notdürftig geschützt. In ca. fünfzig Meter Abstand vom Zaun kommt eine alte leicht gebückte Dame mit Handtasche den Waldweg daher. Sie strebt direkt auf einen schwarz vermummten sogenannten Chaoten, öffnet ihre Handtasche und reicht ihm einen dicken Stein mit den Worten: “Hab ich von der Eisenbahn geholt, schmeiß Du, ich bin zu alt, ich hol einen neuen.” Damit drehte sie sich um und ging Richtung Eisenbahnstrecke um einen weiteren Stein zu holen. Ich stand geschätzt drei Meter neben dieser Begegnung und staunte nur noch.

Grob drei Jahre später wurde der Bau eingestellt. Zitat aus Wiki:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wiederaufarbeitungsanlage_Wackersdorf

Am 31. Mai 1989 wurde der bis dahin ca. 10 Mrd. DM teure Bau eingestellt.

Es stand für diese 10.000.000.000 DM fast nichts. Der lange Zaun sowie eine Halle…

Als ich 89 die Nachricht des Baustopps hörte, war ich nur zum Teil erfreut. Denn der Atommüll geht seither nach Frankreich. Und ich ahnte richtig: Die AKW werden nicht so schnell gestoppt, wenn überhaupt…

Fukushima brachte dann den Konzernen die Chance eine “Energiewende” durch die Re-Gier-ungen verkünden zu lassen. Dabei entstehen allerdings mehr offene Fragen als Antworten:
http://www.konstantin-kirsch.de/2015/12/offene-fragen-zur-energiewende.html

Die verteuerbaren Energiequellen produzieren Kosten, aber keine (Mehr-) Energie… Dazu kam seit den vergangenen 30 Jahren noch die mittlerweile (fast) überall verbreitete Geschichte vom bösen CO2: Fast alles ist mittlerweile CO2 freundlich, oder CO2 neutral oder oder. … Wer noch denken kann, bekommt Nackenschmerzen vor lauter Kopfschütteln.

Eins wurde mir schon im Winter 85/86 klar: Meine Oma hatte die richtige Aussage gebracht: “Wer etwas bekämpft, unterstützt das, was er bekämpft.” Man kann auch sagen: “Die Energie folgt der Aufmerksamkeit.” Je mehr Demonstranten kamen um so mehr Polizei rückte an…

Was wirklich zählt, um eine Änderung herbei zu führen, ist es, das aufzubauen was man will und nicht, das zu bekämpfen was man nicht will.

Dazu ein Zitat von Buckminster Fuller:

You never change things by fighting the existing reality. To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.

Auf deutsch heißt das soviel wie:

Man kann Dinge niemals verändern, indem man die bereits existierende Realität bekämpft. Wenn Du etwas verändern willst, erschaffe ein neues Modell, das das vorhandene obsolet macht und ersetzt.
oder:
Man bewirkt niemals eine Veränderung, indem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, schafft man neue Dinge oder geht andere Wege, die das Alte überflüssig machen.

 

In der Folge dieser Erlebnisse suchte ich nach der für mich passenden Antwort. Was ist das “neue Modell”? Was ist das, was ich erschaffen will? Was ist das, was das vorhandene ersetzen soll? Im Sommer 1986 fand ich Bücher zur Permakultur und kurz darauf fand ich die “Handbücher für bessere Zeiten” von Rudolf Doernach, aus denen ich die Inspiration entnahm, lebende Häuser entwickeln zu wollen. Zwanzig Jahre später kamen die Anastasia Bücher in mein Leben und nun gehört das “Modell Familienlandsitz” zu den Projekten, die ich am erschaffen bin. Dann habe ich noch 2009 das Selbstmach-Geld Minuto entwickelt. Schon in Wackersdorf war für mich zu erkennen, dass das bisherige Geld zum Verrat an geistigen sittlichen Werten führt. Es gab unzählige Geschichten, dass Personen für die WAA waren weil sie damit auf einen bezahlten Job hofften, oder auf mehr Gewerbesteuer in der Kommune, oder oder… Der Bedarf das alte Geldsystems umzubauen oder zu ersetzen mit etwas lebensfreundlichem war mir vor 30 Jahren klar, allerdings hat die Entwicklung eines Lösungsvorschlages mehr als 20 Jahre gebraucht. Mal sehen wie schnell sich die neuen Modelle rumsprechen, wie schnell sie in Anwendung kommen und wann das alte Modell überflüssig ist!

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Nachtrag: Anleitung zum Abschalten aller AKW’s:

Was Sie in Ihrem jeweiligen Lande machen muessen, um die Atomkraftwerke in Ihrem Land abzuschalten und damit das Ende Ihrer Atomindustrie einzulaeuten, ist nur dies:

Fragen Sie hartnaeckig, ob das schlimmstmoegliche Horrorszenario mit Hunderttausenden Toten hier und jetzt und heute passieren koennte und wenn ja, ob dann Atomenergie im Nachhinein noch vertretbar waere. Immerhin waere es beinahe um Japan geschehen gewesen.

Als naechstes fragen Sie, ob, auch wenn es noch so selten vorkommen koenne, wie denn diese “Seltenheit” eigentlich berechnet wurde, ob diese Berechnung auf soliden Messungen und Berechnungen (und welchen) oder auf Schaetzungen beruhe, oder ob all diese Sicherheitsabschaetzungen nicht vielmehr mit groesseren Unsicherheiten behaftet seien als sie ueberhaupt aussagen.

Zitat aus: http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=209999

Man kann übrigens die erste Frage noch mal verschärfen:
Ist es möglich, dass das schlimmstmögliche Horrorszenario, mit Hunderttausenden Soforttoten, jetzt, soeben, zB. vor einer Minute, eingetreten WAR und wir es nur noch nicht erfahren haben? Und wenn ja, würden Sie dann immer noch Atomenergie als vertretbar, als Übergangslösung, als sinnvoll, als xxx bezeichnen?

5 Gedanken zu „Dreißig Jahre Wackersdorf“

  1. Danke für die Erinnerung an die WAA-Zeiten!
    Ich war damals auch mal vor Ort, weil eine Freundin beim Bund Naturschutz aktiv war und in der Oberpfalz bei einem (sehr Anti-WAA-engagierten) Ökobauern ein Praktikum machte, wo ich sie besuchte.
    Ich erinnere mich an ein eher grünfräckiges BN-Treffen mit Hubert Weinzierl in einem Dorfgasthof und an einen Gottesdienst am Fanziskus-Marterl und ältere Damen, die junge Demonstranten mit Gebäck versorgten.
    1988 nahm ich an einer Fahrrad-Sternfahrt zu einem Anti-WAA-Camp auf einem Bauernhof teil. Wir waren etwa 5 Personen und führten einem Fahrradanhänger mit uns, an dem ein kleines Transparent befestigt war – Grund genug, dass wir von der Polizei angehalten und nach Sulzheim-Rosenberg eskortiert wurden, wo unsere beiden Mitdemonstranten, die den Fahrradanhänger gesteuert hatten, für einige Zeit im Rathaus verschwanden, während wir anderen draußen warteten….
    Das Ergebnis war, dass wir weiterfahren durften, aber ohne das Transparent. Sonst wären wir eine “nicht genehmigte Demonstration” gewesen…

  2. Danke für deinen Bericht Konstantin! Das Thema Atomenergie ist für mich der größte Kritikpunkt an Putin und der russischen Regierung, so sehr ich auch vieles von dem was sie machen gut heiße… Aber Russland ist leider das Land Nr.1 im Atomkraftwerkbau und baut in Afrika, Indien und vielen anderen Ländern(sogar Ungarn) neue Atomkraftwerke… Das ist eine Zig-Milliarden-Industrie für Russland, ich frage mich wie das die russische Regierung vertreten kann. Sind sie so überzeugt von der Sicherheit ihrer Technologie? Oder bauen sie fleißig Atomkraftwerke, dass sie das anfallende Uran dann für ihre Atomwaffen einsetzen können, die sie zur Verteidigung gegen die USA verwenden? Es ist eine komplexe Situation und ich frage mich echt wie wir aus dieser Zwickmühle rauskommen… aber vielleicht muss man es auch nicht so eng sehen, denn wie Wolodja es sagt, das Problem ist nicht die Strahlung an sich, denn die ist sogar gut, das Problem ist die Konzentration der Strahlung und die ist vernichtend… Im Moment erscheint mir die individuell sinnvollste “Lösung” möglichst weit weg von Atomkraftwerken zu leben, so dass man im Falle eines Super-Gaus eine verträgliche Strahlung abbekommt, die man leicht bewältigen und der man sich anpassen kann.
    Die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe liegt bei 100 Prozent, die Frage ist nur wann und die Frage ist auch wieviele Fukushimas es noch brauchen wird, bis sich die Völker der Erde erheben und den Bau dieser Werke in ihren Ländern schlicht nicht mehr dulden.

  3. @Stefan Veda
    “Sind sie so überzeugt von der Sicherheit ihrer Technologie? Oder bauen sie fleißig Atomkraftwerke, dass sie das anfallende Uran dann für ihre Atomwaffen einsetzen können, die sie zur Verteidigung gegen die USA verwenden?”

    Das komische ist, das es da zwei Denkweisen gibt.
    Die erste ist die natürliche, also das Atomkraft gefährlich ist und blah blah blah wie hier vertreten.

    Und die zweite, die ist ganz komisch. Bei dieser Denkweise gibt es die Risiken von Atomkraft nicht, oder sie sind so eine Nebensache. Und wenn man anfängt daran zu zweifeln/sich zu wundern steht ein Herr im schwarzen Anzug (bildlich gemeint) mit der Statistik von wenigen Unglücken pro Riesenanzahl Atomkraftwerke und anderen Argumenten da, und erzählt dir wie supergeile Wunderkraftwerke AKW’s sind die Riesenmengen Strom erzeugen. Risiko ist Nebensache. Das war alles was man hören wollte.

    Hab’ keine Zeit grad’ zum ausführlich schreiben. Ich würde es selber nicht richtig glauben. Ich hielt Denkweise 2 auch für unmöglich das sie existiert etc. bis ich es selber erlebt habe, gefühlt habe aus der Sicht beider Denkweisen. Wer mir die zweite eingetrichtert hat fällt mir komischer weise nicht mehr ein. Sie wurde mir auf jeden Fall irgendwo eingetrichtert. Zum Glück ist die Vernunft stärker und ich bin bei Denkweise 1 zurück. Ist sehr eigenartig.

  4. Es gibt auch die umgekehrte Formulierung: “Der ärgste Feind jeder Regierung ist das eigene Volk”. Und ja Teile und Herrsche, die Menschen in festgefahrene Denkschablonen festlegen – Jegliches selbständige denken mit dem Begriff “dritter Weg” sofort als Traumtänzerei, Utopie niederhalten, so geht das Spielchen bereits seit Generationen…
    Zur Atomkraft: Auf Uran basierend ist immer Militärisch motiviert, sonnst könnte man auch auf Thorium zurückgreifen, gab zwar Alibireaktoren, die waren jedoch ziemlich Panne, denn Technologie wurde jedoch nie fertig entwickelt. Gäbe zwar auch Abfälle, nicht unproblematisch Halbwertszeiten aber deutlich überschaubarer.

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