Übersterblichkeit und Unterbelichtetheit

Laufend kamen die letzen Tage Emails bei mir rein, in denen Links enthalten sind, meist Links zu Videos, mit dem Hinweis, ganz so schlimm kann der CoVid Virus gar nicht sein – wenn es ihn denn überhaupt gibt – oder gar: “Ansteckung” gäbe es eh nicht, weil alles nur von der Psyche und von Schocks abhängen würde aber doch nicht von Mikroben etc…

Meiner Erinnerung nach habe ich noch nie ein solches Durcheinander an Meldungen und Ansichten zu einem Thema kennengelernt, noch dazu über solch eine längere Zeitspanne von Wochen.

Das ganz besondere “Argument”, das derzeit vielfach gezogen wurde, ist die Behauptung, daß es gar keine Übersterblichkeit durch den Virus gäbe. Dann wird in den Berichten häufig verwiesen auf eine Statistikseite www.euromomo.eu

[Hinweis: der obige Link geht ins Internetarchiv vom 7.4. 2020 / die laufend aktualisierte Seite ist hier zu finden: www.euromomo.eu]

Weil dies so häufig auftaucht, und womöglich mehrere Menschen geneigt sein könnten diesen Darstellungen und Deutungen zu Statistischen Erhebungen Glauben zu schenken, schrieb Frank McCormack für das CoVid Handbuch ein neues Kapitel. Noch bevor die neue Version veröffentlicht wird darf ich hier im Blog schon mal das Kapitel veröffentlichen:

 

Frage: Aber es ist doch noch gar keine Übersterblichkeit gegenüber Grippejahren nachweisbar?

Dieses Argument ist entweder heillos blöde und einem ebensolchen Hirn entsprungen oder ob seiner mörderischen volks­ver­dum­menden Absicht eklig. Ich würde mich nicht wundern, wenn einige Ärzte, die, unter Bruch ihres hippokratischen Eides, diesen Un­sinn nicht müde werden zu replizieren, darüber bald ihre Approbation verlören. ‚Warum, was haben die denn Schlimmes getan?‘

Schlimmes! Stell‘ Dir vor, ein Arzt sagt „Gehen Sie ruhig da vorne an die Klippe – wenn das Herunterstürzen von dort tödlich wäre, hätten wir das schon längst in der Übersterblichkeit bemerkt.“ – nicht wahr, Dir schwant schon etwas?

Also: man weiss, dass dieses neue SARS‑2-Virus viel häufiger zu tödlichen Komplika­tio­nen führt, als eine ‚normale‘ Grippe. Man weiss das aus Krankenhäusern, die ge­häuft solche Patienten behandeln ‑und häufig in den Tod begleiten‑ mussten, ebenso, wie man es aufgrund klinischer Studien mittlerweile nachweisen kann, und das im Prin­zip schon anhand des Patientengutes aus Wuhan/Hubei in China spätestens seit Dezember 2019.

Wer das infrage stellt, und auch das tun einige, die behaupten, diese Menschen seien nur an der Angst vor dem Virus verstorben, und Angst schwäche das Immunsystem und, bla, bla, [erfinde noch ein paar Zahlen hinzu, lasse ein paar andere weg, und, siehe da: es gibt gar kein Virus, nur Angst], der kann nichts Gutes im Schilde führen. Oder er behauptet das aus Dummheit. Bodenloser.

Aber bleiben wir bei denen, die immerhin geneigt sind, das Krankheitsgeschehen an sich zuzugestehen, die aber beharrlich anhand von Todesfallstatistiken wie denen von EuroMoMo versuchen, die jetzige Corona-Pandemie ‚schönzurechnen‘.

Das Hauptargument, und es zeigt, dass diese Menschen einfach komplett ahnungs­los sind, wie Sterblichkeitsdaten erfasst und aggregiert werden, das Argument geht so: wenn jede Grippewelle der letzten Jahrzehnte seit meinetwegen 1918 mal keine, mal erhebliche Übersterblichkeiten erzeugt hat, ‚dann müsste, bei der gan­zen Auf­reg­ung um SARS 2, schon längst etwas ‚zu sehen‘ sein. Es ist aber nichts ‚zu sehen‘ und daher, wunder‘, wunder, kopfkratz, Staunen, ‚da muss doch alles Propa­ganda sein, und warum sehe nur ich das, Wunderknabe, der ich bin, und gestan­dene Aktuare, Bio­statistiker und Epidemiologen vermögen nicht, auch dieselben Zahlen zu vergleichen und zu meinen Schlüssen zu kommen?‘

Tja, das liegt daran, dass es eben nicht dieselben Zahlen sind. Excess Mortality, Übersterblichkeit ist eine ex post, im nachhinein, retrospektiv, errechnete und z.T. auch ‚fiktive‘ Zahl (nein, nein, nicht schon wieder Matrix, Verschwörung und Reptiloide, Herrgott, ‚fiktiv‘ heisst einfach, dass man dazu einige Annahmen machen muss, um eine Ursache, die man nicht direkt beobachten kann, aus anderen, direkter beobacht­baren, herauszurechnen; lies‘ einfach weiter …)

Die derzeit beobachtbaren aktuellen Todesfallzahlen aller Sterbefälle können mit dieser im nachhinein errechneten Übersterblichkeit nicht im entferntesten verglichen werden, noch kann man gar prospektive Sterbefallziffern, also in die Zukunft extra­polierte, wie die ‚Coronatoten nächste Woche‘ (2.1) damit auch nur annähernd vergleichen.

Tja … warum?

Weil man alle (alle!!!) Faktoren, die für die Berechnung im nachhinein notwendig sind, jetzt noch nicht kennt. Alle nicht.

Nur ein geradezu mit Händen greifbares Beispiel: der (teutsche) ADAC rechnet mit leeren Strassen an Ostern 2020 und seit Jahrzehnten (!) fällt erstmals der grosse Stau an Ostern auf den Autobahnen aus. ‚Wegen‘ Corona, natürlich; nicht, weil die Eier oder das Benzin ausgegangen wären.

Aber heute, Stand heute (Dienstag, 07. April 2020), wissen wir noch gar nicht, wieviele Autofahrer doch noch ‑legal oder verbotenermassen‑ sich auf Autobahnen begeben werden, wieviele davon Elektroautos fahren und auf halber Strecke liegenbleiben, nur sind diesmal keine Dieselfahrer da, die sie abschleppen könnten, usw. usf.

Aber auch nach den Osterferien wissen wir das nicht, die Elektroautos sind zu wenige, als dass man sie zahlenmässig erfassen könnte. Was man aber in ca. einem halben Jahr endlich, mühsam und unter weiteren Annahmen, berechnen kann, ist, wieviele dieser Osterurlauber in ihren Teslas verkohlt sind, wieviele in ihren Dieselfahrzeugen vergeblich versucht haben, sich mit ihren Abgasen umzubringen und wieviele Benzin­fahrer es dagegen geschafft haben, weil der Kohlenmonoxidgehalt in ihren Abgasen genügend hoch war. Diese verhinderten Diesel-Selbstmörder sterben dagegen erst Jahre später an inhaliertem Feinstaub und irgendein Pathologe muss dann, in vielleicht zehn, zwanzig Jahren, entscheiden, ob derjenige an dem Dieselfeinstaub (von Ostern 2020), an Blödheit oder an Folgen des Zigarettenrauchens verstarb. Seine Todes­ursache mag zwar Ostern 2020 gesetzt worden sein, verstorben ist er an dieser ‚heutigen‘ (!) Ursache aber erst, sagen wir, 2031.

So, und da wären wir beim Knackpunkt: Wenn jetzt an Ostern 2020 weniger Men­schen an Verkehrsunfällen sterben, als 2019 und, wenn wieder alles ‚rund läuft‘ (da bin ich skeptisch, da waren die westlichen Politiker viel zu gut vorbereitet) in, sagen wir, 2025, gleichzeitig aber mehr an einer Grippe (lassen wir CoViD 19 mal aussen vor), wie würdest Du das denn wissen, wieviele ‚an Grippe‘ gestorben wären?

Erstmal gar nicht.

Das geht eben erst im nachhinein.

Wenn wir den Winter 2017/2018, in dem die ‚tödlichste Grippe-Pandemie der letzten 30 Jahre‘ stattfand, mit dem Winter 2019/2020 vergleichen, stellen wir, in Europa zu­min­dest, fest, dass ersterer Winter sehr kalt war, der gerade zuende gehende (2020) eher über­wiegend mild. Das bedeutet schon mal mehrerlei: in kälteren Wintern gibt es mehr Tote durch erfrieren, mehr ältere Menschen stürzen bei Schnee und Eis und versterben danach, es gibt mehr Auffahrunfälle, mit z.T. tödlichen Folgen, mehr Ski­unfälle, auch z.T. mit tödlichen Folgen, weniger Tote durch Salmonellen-Vergiftungen, die vor allem bei den Grillparties im Sommer ansteigen, weniger tödliche Badeunfälle, weil niemand im Baggersee schwimmt usw. Kurzum: je allein schon nach Wetterlage ändern sich sowohl die Häufigkeiten der Todesfälle, wie auch die Todesursachen und ‑arten.

Wenn jemand wegen einer grippeinduzierten Niesattacke die ‚Gewalt über sein Fahrzeug verliert‘ und dabei tödlich verunglückt – ist das ein Grippetoter oder ein Unfalltoter? Na ja, vielleicht halbe-halbe? Was aber, wenn er unbeschadet überlebt, ihm aber eine fünfköpfige Familie ausweicht, den Abhang hinunterstürzt und alle sterben? Grippetote? Ich denke, die wenigsten würden soweit gehen, obwohl im weiteren Sinne die Grippeinfektion des Unfallverursachers zum Absturz und fünf Toten führte.

Kurz und gut: um die echte Übersterblichkeit aufgrund z.B. einer Grippewelle im nachhinein zu berechnen, bedarf es zuerst der Feststellung, des ‚was-wäre-wenn‘-Szenarios: „Wieviele Menschen wären in diesem Winter gestorben, wenn es keine solche Grippewelle gegeben hätte?“.

Das kann man aber nicht ‚einfach‘ beantworten, indem man den vorherigen Winter herannimmt als Vergleich, denn der war nicht nur milder, er war ‚länger‘ oder ‚kürzer‘, die Feiertage lagen an anderen Wochentagen (mehr oder weniger unfallträchtiger Verkehr), die Preise für Truthähne waren höher oder niedriger (mehr oder weniger Fettlebern und Embolien), die Preise für Pauschalreisen waren höher oder niedriger, die Arbeitslosigkeit war höher oder niedriger (bei Arbeitsüberhang wurde Urlaub gestrichen = weniger Ski‑, dafür mehr Arbeitsunfälle usw.).

Also: um eine nachträgliche Übersterblichkeit zu berechnen, muss man erst einmal alle Variablen gegenüber dem ‚durchschnittlichen‘ (fiktiven) Zeitraum, hier: Winter, ‚nor­mieren‘, man muss also z.B. ein hypothetisches ‚Durchschnittsweihnachtsfest‘ ermitteln usw.

imageEs geht aber noch viel weiter: die sog. Alterspyramide ändert sich ja jedes Jahr. Wenn z.B. die 1900 geborenen eine Lebenserwartung von, sagen wir, 75 Jahren hatten, dann leben davon 2020 kaum noch welche. wenn in den sech­ziger Jahren viele Menschen viele Kinder bekamen (meistens die Frauen), dann leben davon jetzt noch viele. Diese haben aber eine andere, evtl. längere, Lebenser­wart­ung als die 1900 geborenen. aber auch 2019 geborene Kleinkinder versterben aktuell, sei es an angeborenem Herz­fehler oder Vergiftungen oder Unfällen, obwohl sie doch, Moment mal, wie war das doch, ach ja: über achtzig Jahre alt werden müssten. Jede dieser Alterskohorten stirbt aber tendenziell auch an anderen Todesursachen, heute mehr an Herzkranzgefässleiden und Depressionen, früher eher an Altersschwäche oder Krieg und dessen Folgen. Grippe-Erreger treffen aber ihrerseits Menschen mit Diabetes II anders, als Herzkranke usw. Und deren Zusammensetzung wird 2015 eine andere gewesen sein, als 2020 und 2025, so dass, selbst wenn derselbe Grippeer­reger in jedem der drei Jahre wiedergekommen wäre, und auch noch die Wintertem­peraturen gleich geblieben wären und sämtliche Feiertage an denselben Wochentagen statt­gefunden hätten, selbst dann wäre die ‚Normsterblichkeit‘ eine andere gewesen und die hätte man erst mühsam, jeweils frühestens im darauffolgenden Sommer, ermitteln können.

Und: wer jetzt an Grippe stirbt, kann weder noch gleichzeitig an Herzinfarkt noch an Corona-SARS‑2 sterben. Und wer jetzt an Herzinfarkt stirbt, ist dem Corona-Tod noch eben so ‚von der Schippe‘ gesprungen. Um also im nachhinein die SARS‑2-Toten berechnen zu können, muss man erstmal abwarten, ob es diesen Winter nicht eine zufällige Übersterblichkeit an Herzkranken gegeben hat und die dann abziehen bei der für SARS-Tod ‚zur Verfügung stehenden‘ Kohorte. D.h., je mehr Menschen jetzt an anderen Ursachen sterben, desto höher ist die Gefährlichkeit von SARS! Capito?

Nein? Also nochmal: wenn von 10.000 Menschen 100 an SARS sterben, beträgt dessen Sterblichkeit 1%, richtig? Wenn jetzt aber in dem Jahr 5.000 der 10.000 an Herzinfarkt (warum auch immer) sterben und 100 an SARS, dann sterben von den verbleibenden 5.000 ZWEI PROZENT an SARS, das SARS‑2-Virus ist also doppelt so gefährlich. Doppelt? Nein, eher noch mehr. Denn … die Überlebenden sind ja, da die Herz­kran­ken alle schon gestorben sind, überdurchschnittlich gesund! Man darf mit Fug und recht annehmen, hätten die 5.000 Herzinfarkte stattdessen weitergelebt, dass die Sterb­lichkeit durch SARS bei den gesamt 10.000 sogar 3% oder 300 hätte betragen können, da die Herz­kranken noch anfälliger als die andere Hälfte waren und daher vermehrt an SARS gestorben wären!

So geht Versicherungsmathematik und Biostatistik. War das jetzt so schwer? Für einige offenbar schon …

D.h. der ‚normierte‘ Winter 2015 hatte andere Altersstrukturen und ‚übliche‘ Todes­ur­sachen zu berücksichtigen, als der normierte Winter 2020 usw. und all das kann man erst ex post überhaupt ermitteln.

Diese Berechnungen sind daher nur im Verlauf von Monaten im nachhinein möglich, da hier hunderte Korrekturfaktoren erhoben und gewichtet werden müssen.

Und darum ist die Idee, man könne an den jetzigen niedrigen Todeszahlen in Wales (Grossbritannien) ablesen, dass ‚an Corona‘ sogar weniger Menschen stürben, als sonst an meinetwegen Grippe, intellektuell sowas von dürftig, dass mir Zweifel kom­men, so jemand habe den Notendurchschnitt für die Zulassung zum Medizin­stu­dium schaffen können. Vielleicht sind es aber auch nach verliehener Opprobation ein­set­zen­de neuro­dege­nerative Erkrankungen, jedenfalls zum Arztberuf taugt so jemand nicht (mehr).

 

 

Dies ist ein Auszug aus dem Buch

Das Corona-Virus SARS-CoV-2 und die Atemwegserkrankung CoVid-19:

Bedeutung, Auswirkungen, Vorsorgemöglichkeiten, Verhalten und Zukunftsaussichten

dessen jeweils neueste Version Sie immer auf dieser Webseite

https://www.waldgartendorf.de/wegweiser/

finden. Blaue Hyperlinks verweisen auf Internetseiten im ‘Web’, braune auf Stellen im Buch selbst. Letztere sind nur aktiv, wenn Sie das Buch herunterladen und in einem PDF-Anzeigeprogramm lesen.

 

2 Gedanken zu „Übersterblichkeit und Unterbelichtetheit“

  1. Man kann in der Euromomo eine deutlichen Peak sehen. Die Steigung des Graphen ist ein Indiz für die hohe Sterblichkeit durch die Pandemie oder sehen sie das anders?

    *****

    Hallo Stefan Streicher,

    danke für den Hinweis das mittlerweile auch auf diesen Darstellungen eine erhöhte Sterblichkeit sichtbar wird. Als ich den Artikel schrieb war dies noch nicht so. Die Seite Euromomo wird ja laufend aktualisiert.
    Viele Grüße
    Konstantin Kirsch

  2. Nichts zu danken, ich sehe mich mittlerweile einer immer größer werdenden Welle an Verschwörern gegenüber. Seit diese steile azyklisch platzierte Linie sichtbar ist,verwende ich sie häufig in Diskussionen. Sie ist Trotz der zum Teil seit längerem bestehenden Ausgangsbeschränkungen steiler als alle davor sichtbaren Übersterblichkeiten.
    Nichts desto trotz – die Menschen werden langsam verrückt.
    Ich bin sehr froh in der Pampa in Bayern zu leben… Am land ist alles noch nicht so schlimm.

    Ihnen alles Gute und schönen Abend!

    *****
    Ja, das erlebe ich auch mit jede Menge Verschwörungsgeschichten. Und in mir entsteht eine emotionale Spaltung: Ich freue mich einerseits über diese Ausschläge der Kurve weil damit den Verharmlosern das Handwerk gelegt werden kann. Andererseits erfüllt es mich mit Trauer, daß viele Menschen gestorben sind und weitere sterben werden, auch wegen genau jenen Verharmlosern.

    Auch ich lebe in der Pampa, allerdings in Hessen, und auch hier ist das alles noch nicht so schlimm und wird hoffentlich auch ganz erträglich bleiben.

    Ihnen auch einen schönen Abend!
    Konstantin Kirsch

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